Anlässlich der Reichspogromnacht am 9. November 1938 haben haben unsere Jugendlichen wieder den Stolperstein von Julius Asch geputzt und Blumen niedergelegt. Am Nachmittag wurde, gemeinsam mit den anderen Vereinen und den Schulen, in der Kirche am Markt auf sehr berührende Weise den Opfern des Nationalsozialismus gedacht. Das Gedenken, der durch die Nazis ermordeten Menschen, ist auch ein Zeichen gegen Rassismus und Ausgrenzung.
Dies ist die Geschichte hinter dem Stolperstein:
Als Julius Asch im Jahr 1899 Lehrling bei der Hamburger Firma Charles Lavy & Co. wurde, war er 24 Jahre alt. Er kam aus der damals zu Preußen gehörenden, später polnischen Stadt Rawitsch bei Posen. Nach dem Tod seines Vaters verließ auch Julius Asch nach Abitur und Militärdienst Rawitsch als letztes der sieben Geschwister.
Er erlernte in der Hansestadt den Kaufmannsberuf. Das Unternehmen beschäftigte damals fünfhundert Angestellte und war als Im- und Exportfirma tätig, genoss aber auch einen guten Ruf als Hersteller von Oberbekleidung. Nach seiner Lehrzeit blieb er bei der Firma: 1914 wurde er Teilhaber, 1916 stieg er in die Firmenleitung auf und 1919 gründete er das Zweigunternehmen Laco, das zu einer führenden Marke für Seidenschals und -krawatten wurde.
Als Julius Asch damals in der Elbchaussee 30 (heute 557) sesshaft wurde, war er ein erfolgreicher Unternehmer und Bürger der Stadt Hamburg. Nur zwei Jahre später erwarb er den Gutshof Marienhöhe. Er ließ das Herrenhaus umbauen, das umliegende Gelände aufforsten und die Parkanlage verschönern. Jeden Sommer öffnete er das Gut für jüdische Kinder. Julius Asch war Mitglied der Hochdeutschen Israeliten-Gemeinde in Altona, die zum Zentrum für die vermehrt aus dem Osten kommenden Juden wurde. Überlebende Juden erinnerten sich noch Jahrzehnte später an die idyllischen Ferienlager in Marienhöhe. Kurz bevor „Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes“ verboten wurden, heiratete Julius Asch 1934 Erna Basse, die Schwester seines Verwalters. Die Ehe mit der Nichtjüdin bot vorläufigen Schutz – genauso wie die Tatsache, dass er sich die Firmenleitung mit dem Nichtjuden Gerhard Kelter teilte. Zusammen konnten sie im Frühjahr 1938 das 100-jährige Bestehen von Lavy & Co. feiern.
Dass Julius Asch im Frühjahr 1938 noch als Mitinhaber von Lavy & Co. zeichnete, war keineswegs selbstverständlich. Denn seit zwei Jahren betrieben Staat und Partei die Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft und ihre schleichende Ausplünderung. Julius Asch konnte aufgrund der Größe und wirtschaftlichen Bedeutung des Unternehmens und der Loyalität der Mitbesitzer diesem Druck zunächst standhalten.
Am 4. Januar 1938 verfügte das Wirtschaftsministerium, dass schon ein jüdischer Inhaber bzw. Gesellschafter oder mehr als ein Viertel jüdische Mitglieder eines Aufsichtsrats ausreichten, um ein Unternehmen zum jüdischen Gewerbebetrieb zu machen. Asch blieb jetzt keine Wahl mehr. Am 23. Juni unterzeichnete er den letzten Vertrag zur Übergabe seiner Anteile an die neuen „arischen“ Besitzer Kelter und Weger. Als Abfindung war die Summe von 850 000 RM festgesetzt worden.
Schon drei Tage vorher hatte die Finanzbehörde eine Akte angelegt mit der klaren Weisung: „Julius Asch verlässt die Fa. Chs. Lavy & Co. am 30.6. – sofort gesamtes Vermögen sichern.“ Entsprechend wurde verfahren: Pünktlich am 30. Juni entzog ihm die Zollfahndungsstelle mit einer Sicherungsanordnung die Kontrolle über sein gesamtes Vermögen. Es wurde auf ein Sperrkonto überwiesen, das der Verfügung der Devisenstelle unterstand. Jede Summe musste nun beantragt werden. In einem Schreiben vom 4. Juli stellte er sich auf die demütigende Situation ein: „Bezugnehmend auf die heutige fernmündliche Unterhaltung […] bitte ich darum, nachdem ich gehört habe, dass auch kleine Ausgaben, die ich für den Lebensunterhalt und eventuell zur Bezahlung kleiner Rechnungen benötige, einer Genehmigung bedürfen, mir den Betrag von RM 500.– freizustellen.“ Die Devisenstelle bewilligte aus unbekannten Gründen 3000.– RM. Wenig später wurde der Betrag noch einmal angehoben.
Im Frühjahr hatte ihn einer seiner Prokuristen, das NSDAP-Mitglied Tycho Mahnke aus Blankenese, gewarnt: „Sie müssen hier raus, Herr Asch – und das bald!“ Damals hatte er diesen Rat entrüstet zurückgewiesen. Jetzt begriff er, dass die Auswanderung der einzige Ausweg blieb. Seine Geschäftsbeziehungen ins Ausland und der Besitz eines Reisepasses schienen dieses Vorhaben zu erleichtern. Er hoffte, Teile seines Vermögens ins Ausland zu transferieren und bei der Schwesterfirma Lavy & Co. Ltd. eine Anstellung zu finden.
Schon im August zeigte sich, dass seine Hoffnungen trügerisch gewesen waren: Der Besitz eines Passes wurde vom Nachweis einer Unbedenklichkeitsbescheinigung abhängig gemacht. Darin musste die Devisenstelle bestätigen, dass der Passinhaber kein Kapital mehr besaß, welches er ins Ausland transferieren könne. Der Pass von Julius Asch lief Ende des Jahres ab. Bis dahin musste er sich seines Vermögens entledigt und die für jüdische Auswanderer erhobenen immensen Abgaben entrichtet haben. Erst dann würde er die kostbare Bescheinigung in Händen halten. Es begann ein Wettlauf mit der Zeit.
Nachdem sich der 63-Jährige im Oktober in Bad Wildungen ohne Erfolg einer Nierenoperation unterzogen hatte, stellte er für sich und seine Frau den Antrag auf Ausreise. Sie sollte am 10. Dezember 1938 stattfinden. Im November verkaufte er seine beiden Häuser – den Gutshof Marienhöhe an den Präses der Handelskammer Bremen, Gustav Scipio, das Wohnhaus an der Elbchaussee an den Reeder John T. Essberger. Die Erträge gingen auf sein Sperrkonto und wurden gleich wieder abgeschöpft durch eine gesetzlich vorgesehene Zwangsabgabe an die Deutsche Golddiskontbank. Auch auf die nach 1933 gekauften Gebrauchsgegenstände wurden, weil sie als zur Ausreise gekaufte Güter galten und damit eine Form von Kapitalflucht darstellten, eine hohe Steuer erhoben. Die Inventarisierung dieses Umzugsguts bot der Zollfahndungsstelle den Anlass zu ständigen Überprüfungen und Beanstandungen. Die Zeit lief Julius Asch davon. Die Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes Altona lag mittlerweile vor. Die des Finanzamtes Neustadt fehlte – sie traf erst am 6. Dezember, vier Tage vor der Abfahrt, ein.
Die Hoffnung, Teile seines Vermögens im Ausland erhalten zu können, hatte Julius Asch nach einem abschlägigen Bescheid der Devisenstelle schon im November aufgeben müssen. Was er im Fragebogen für Auswanderer auf die Frage 17 geantwortet hatte, würde jetzt eintreffen. „Welchen Betrag wollen Sie in bar ausführen? – Nichts, außer je RM 10 und je RM 50 auf Dringlichkeitsbescheinigung für meine Frau u. mich.“ Am 10. Dezember wollte das Ehepaar das Schiff nach England besteigen. Aber der Abreisetag verstrich, ohne dass der Ausreiseantrag abschließend vom Oberfinanzpräsidenten behandelt worden wäre. Aus ungeklärten Gründen wurde die Angelegenheit Julius Asch erst am 28. Dezember weiterbearbeitet – zu spät für Asch, dessen Pass am 31. Dezember 1938 ablief. Beruflich ruiniert, seines Vermögens beraubt und an der Ausreise gehindert, hatte das Leben für ihn allen Sinn verloren.
Am 2. Januar 1939 schied er „freiwillig“ aus dem Leben. Am 12. Januar fanden spielende Kinder seinen Leichnam, von den Eisschollen der Elbe wieder an Land getragen, am Strandweg in Blankenese.
Der Waldpark Marienhöhe, das Schwimmbad und der neue Friedhofsteil sind ein Erbe Julius Aschs, das den Hamburgern zugefallen ist.
Text: https://www.stolpersteine-hamburg.de/?&MAIN_ID=7&BIO_ID=200